Familienaufstellung: Depression, Gefühlslosigkeit und der verlorene Zwilling

Ein eindrucksvolles Beispiel aus der Praxis

Manche seelischen Zustände scheinen kaum greifbar – wie eingefroren. Menschen berichten davon, nichts mehr zu fühlen: weder Freude noch Trauer, weder seelisch noch körperlich.

So erging es einer 45-jährigen Klientin, die sich seit vielen Jahren in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung befand. Mehrere Klinikaufenthalte und jahrelange Einnahme von Antidepressiva hatten wenig Linderung gebracht. Sie sagte:

„Ich fühle nichts. Kein Schmerz, keine Freude, keine Berührung – innerlich bin ich wie tot.“

In Einzelarbeit und im Rahmen mehrerer Traumaaufstellungen zeigte sich nach und nach ein verborgenes Thema: der verlorene Zwilling.

Aufstellung und Wendepunkt

Während einer Familienaufstellung wurde ein möglicher verlorener Zwilling in das System mit aufgenommen. Die emotionale Reaktion war unmittelbar: Tränen, tiefe Erschütterung, und erstmals ein spürbarer Kontakt zu sich selbst. Es war, als ob etwas lange Verdrängtes ins Bewusstsein durfte.

Die Klientin formulierte bewegt:

„Ich wusste immer, dass jemand fehlt. Und jetzt weiß ich, wer.“

In einer weiteren Aufstellung konnte sie bewusst Abschied nehmen – liebevoll, würdigend, in Dankbarkeit. Dieser Schritt war ein Wendepunkt.

Das Ergebnis

Nach dem Abschied vom verlorenen Zwilling berichtete die Klientin, dass sich etwas Grundlegendes verändert hatte:

  • Sie begann wieder zu fühlen – körperlich wie seelisch.
  • Ihre Stimmung hellte sich auf.
  • In enger Abstimmung mit ihrem Arzt konnte sie die Antidepressiva schrittweise absetzen.

Zum ersten Mal seit Jahren fühlte sie sich lebendig und verbunden. „Ich bin wieder im Leben angekommen“, sagte sie.

Was bedeutet „verlorener Zwilling“?

Viele Schwangerschaften beginnen als Mehrlingsanlagen – ein zweites Kind geht oft früh und unbemerkt verloren. Für das überlebende Kind kann dieser frühe Verlust eine tiefe, unbewusste Spur hinterlassen. Gefühle von Leere, Schuld oder Abgeschnittensein sind häufige Folgen.

Fazit

Die systemische Aufstellung – besonders in Verbindung mit Trauma-Arbeit – kann helfen, tief sitzende seelische Blockaden zu lösen. Gerade bei langjähriger Gefühlslosigkeit oder therapieresistenter Depression lohnt es sich, auch verborgene seelische Bindungen wie den verlorenen Zwilling in Betracht zu ziehen.