Aus systemischer Sicht: Das „Gesetz der Anziehung“ neu verstanden
In der populären Selbsthilfeliteratur wird das sogenannte „Gesetz der Anziehung“ häufig als eine Art mentales Manifestationsgesetz beschrieben: Wer positiv denkt, zieht Positives an; wer negativ denkt, zieht Negatives in sein Leben. Dieses Modell betont die bewusste Steuerung des Lebens durch Gedanken, Affirmationen und Visualisierungen.
Doch aus systemischer Sicht– insbesondere im Kontext der Familienaufstellungen- greift dieser Ansatz zu kurz.
Systemisch betrachtet ist das, was wir im Außen immer wieder erleben – sei es in Beziehungen, im Beruf, mit Geld oder in der Gesundheit – nicht primär durch unsere bewussten Gedanken verursacht, sondern Ausdruck von unbewussten Bindungen, familiären Dynamiken und transgenerationalen Prägungen.
Wiederholungen als Folge von Verstrickung
Menschen, die immer wieder ähnliche Situationen „anziehen“ (z. B. gescheiterte Partnerschaften, Konflikte mit Autoritäten, chronische Überforderung), befinden sich oft in einer unbewussten Loyalität zu früheren Generationen. Diese Loyalität kann sich z. B. darin äußern, dass man ein verdrängtes Schicksal im Familiensystem wiederholt – nicht aus freiem Willen, sondern aus dem tiefen Wunsch nach Zugehörigkeit und Ausgleich.
„Ich gehe deinen Weg, damit du nicht vergessen wirst.“– So lautet oft der unbewusste Satz, den Kinder auf tiefer Ebene für Eltern oder Großeltern „mittragen“.
Transgenerationale Prägung statt freien Willens
Die systemische Arbeit zeigt, dass bestimmte Lebensthemen nicht im Individuum entstehen, sondern Teil eines größeren familiären Feldes sind. Traumata, Verluste, Ausschlüsse oder Geheimnisse im Familiensystem können über Generationen weiterwirken – als Symptome, Beziehungsdynamiken oder wiederkehrende Lebenskrisen.
Daher kann es sein, dass jemand nicht aus eigenen Gedankenmuster heraus „Unglück anzieht“, sondern weil eine systemische Ordnung gestört ist und sich unbewusst nach Heilung und Ausgleich sehnt.
Der Weg zur Veränderung: Anerkennung statt Kontrolle
Statt „besser zu denken“, liegt der Schlüssel in der systemischen Arbeit darin, das eigene Herkunftssystem zu betrachten, unbewusste Bindungen sichtbar zu machen und innerlich in Ordnung zu bringen:
- Wer oder was wurde im Familiensystem ausgeschlossen oder verdrängt?
- Wo gab es Schicksale, die nicht betrauert oder anerkannt wurden?
- Gibt es übernommene Schuld, Trauer oder Wut, die nicht zur eigenen Biografie gehört?
Solche Fragen führen zu einer tieferen Klärung als die bloße Änderung des Mindsets.
Das, was wir „anziehen“, ist aus systemischer Sicht nicht das Ergebnis bewusster Manifestation, sondern die Wirkung verborgener Dynamiken. Erst wenn wir diese anerkennen und die richtigen inneren Schritte vollziehen (z. B. Aussöhnung, Loslassen, Rückgabe übernommener Lasten), können sich auch unsere äußeren Lebensumstände nachhaltig verändern.
„Nicht der Gedanke, sondern die Ordnung bringt Frieden.“