Ganzheitliche Traumatherapie & Fibromyalgie: Trauma als mögliche Ursache?
Viele Menschen, die unter chronischen Beschwerden wie Fibromyalgie oder unerklärlichen Schmerzen leiden, kennen das Gefühl: „Ich habe Schmerzen – aber es wird nichts gefunden.“ Häufig beginnt eine langwierige medizinische Suche nach einer Ursache – meist ohne Ergebnis. Doch was, wenn der Ursprung nicht nur im Körper liegt, sondern auch in der Psyche?
Fibromyalgie zählt zu den funktionellen Schmerzsyndromen. Betroffene berichten über Muskel- und Gliederschmerzen, Erschöpfung, Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme – ohne organisch nachweisbare Ursachen. Diese Erfahrungen führen oft zu Frustration und dem Gefühl, „nicht ernst genommen“ zu werden.
Ein wachsender Forschungszweig untersucht den Zusammenhang zwischen chronischem Schmerz und psychischem Trauma – mit aufschlussreichen Ergebnissen.
Belastende Lebensereignisse als Auslöser
Studien zeigen, dass traumatische Erfahrungen – besonders in der Kindheit – bei vielen Menschen mit Fibromyalgie häufiger vorkommen.
- Eine Heidelberger Analyse mit 123 PatientInnen zeigte: Eine Vorgeschichte von Kindheitstrauma war mit stärkerer psychischer Belastung wie Depression, Angst oder Stress verbunden.
- Eine britische Studie fand eine höhere Traumaquote bei FMS-PatientInnen im Vergleich zu Kontrollen (39 % vs. 24 %).
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass unverarbeitete Belastungen ein Risikofaktor für chronische Schmerzsyndrome sein können.
Biopsychosoziale Mechanismen: Wie Trauma den Körper beeinflusst
Trauma wirkt nicht nur psychisch, sondern auch körperlich. Es aktiviert Hirnregionen wie Amygdala und Hippocampus, die Schmerzempfindlichkeit und Stressreaktionen steuern.
Dauerhafte Stressaktivierung über die HPA-Achse verändert das Cortisolprofil – ein typischer Befund bei Fibromyalgie. Genetische und epigenetische Faktoren (z. B. COMT- oder Serotonin-Gene) können die Sensibilität des Nervensystems zusätzlich erhöhen.
Teufelskreis Schmerz ↔ Trauma
Trauma und chronischer Schmerz können sich gegenseitig verstärken:
- Schmerzen erhöhen emotionalen Stress.
- Traumatische Aktivierung steigert die Schmerzempfindlichkeit.
Ohne therapeutische Intervention entsteht so ein schwer durchbrechbarer Kreislauf.
Therapieansätze: Traumaorientiert & psychologisch fundiert
EMDR bei Fibromyalgie
EMDR („Eye Movement Desensitization and Reprocessing“) wurde in Studien bei Fibromyalgie eingesetzt. Erste Ergebnisse zeigen: EMDR kann körperlichen Stress, traumabezogene Symptome und teilweise auch Schmerzintensität reduzieren.
Weitere traumafokussierte Verfahren
Verfahren wie EFT (Emotional Freedom Techniques) werden ebenfalls explorativ genutzt. Studien sind klein, doch zeigen sie Tendenzen zu psychischer Entlastung und Verbesserung einzelner Symptome.
Fachliche Expertise & Praxiserfahrungen
Frühe Bindungs- und Traumastörungen können die Stressverarbeitung langfristig beeinflussen. Ulrich Egle beschreibt das Stressverarbeitungssystem des Gehirns als zentralen Mediator zwischen emotionalen Belastungen und körperlichen Schmerzen. Erfahrungsberichte zeigen, dass EMDR und somatische Traumatherapien bei Trauma-assoziierten Fibromyalgie-Verläufen hilfreich sein können.
Integratives Vorgehen: Traumaaufstellung & EMDR
Ein ganzheitlicher Ansatz verbindet mehrere Ebenen:
- Traumaaufstellungen machen innere Dynamiken sichtbar und lösen emotionale Verstrickungen.
- EMDR unterstützt die neurologische Verarbeitung traumatischer Erinnerungen, reduziert Stressreaktionen und schmerzhafte Verknüpfungen.
- Psychotherapeutische Begleitung (z. B. Achtsamkeit, Körperarbeit) stabilisiert das Nervensystem und stärkt Selbstregulation.
Vorteile dieses Ansatzes
- Reduktion traumatischer Aktivierung und Stressantwort
- Bearbeitung körperlich gespeicherter Themen
- Stärkung emotionaler und psychischer Stabilität
- Mögliche Schmerzreduktion und Lebensqualitätsgewinn
Traumasensibles Yoga als ergänzende Methode
Traumasensibles Yoga (TSY) ergänzt die psychotherapeutische Arbeit. Es richtet sich an Menschen, deren Nervensystem durch chronische Schmerzen oder Traumata stark aktiviert ist.
Ziele und Wirkmechanismen von TSY
- Sichere Körperwahrnehmung: Der Körper wird wieder als zuverlässiger Orientierungspunkt erlebt.
- Nervensystemregulation: Sanfte Bewegungen und Atemübungen helfen, aus Übererregung in Ruhe zu kommen.
- Muskelentspannung: Betroffene spüren eine Reduktion von Verspannungen und Schmerz.
- Selbstwirksamkeit: Das Erleben eigener Handlungsmöglichkeiten stärkt das Gefühl von Kontrolle und Stabilität.
TSY legt Wert auf Wahlfreiheit, Achtsamkeit und Sicherheit – nicht auf Leistung oder Perfektion. Gerade für Fibromyalgie-PatientInnen mit sensibler Schmerzverarbeitung ist das ein wertvoller therapeutischer Zugang.
Fazit
Fibromyalgie ist ein multifaktorielles Syndrom, bei dem biologische, psychische und soziale Faktoren ineinandergreifen. Traumatische Erfahrungen – besonders in der Kindheit oder durch chronische psychische Belastung – können einen wesentlichen Einfluss haben.
Ein ganzheitlicher, traumaorientierter Ansatz, der Traumaaufstellungen, EMDR und traumasensibles Yoga kombiniert, bietet eine fundierte Möglichkeit, Schmerzsymptome zu verstehen und zu lindern.
Diese Methoden ersetzen nicht die medizinische Abklärung, stellen aber eine wertvolle therapeutische Ergänzung dar. Durch die Arbeit auf körperlicher, emotionaler und psychischer Ebene können PatientInnen Stabilität, Selbstregulation und Lebensqualität zurückgewinnen – und oft auch eine Reduktion ihrer Schmerzen erfahren.
