Wenn der Körper erinnert – Trauma zwischen Psyche und Körper verstehen
Traumatische Erfahrungen hinterlassen Spuren – nicht nur in der Seele, sondern auch im Körper.
Selbst wenn das Ereignis längst vergangen ist, tragen viele Betroffene die Folgen weiter mit sich: Verspannungen, chronische Schmerzen, Schlaflosigkeit, Ängste oder das Gefühl, „nie richtig im Körper anzukommen“.
Der renommierte Psychiater Dr. Bessel van der Kolk, Autor des Bestsellers „The Body Keeps the Score“ (deutsch: „Verkörperter Schrecken“), beschreibt es so:
„Das Trauma wird nicht erinnert, es wird wiedererlebt – im Körper, in den Muskeln, in den Nerven, im Herzen.“
Sein zentraler Gedanke: Trauma ist keine Erinnerung, sondern ein Zustand, der im Körper gespeichert ist.
Was passiert bei einem Trauma im Körper?
Ein Trauma entsteht, wenn ein Mensch eine Situation erlebt, die sein inneres Sicherheitssystem überfordert – etwa durch Gewalt, Verlust, Missbrauch oder eine lebensbedrohliche Erfahrung.
In diesem Moment übernimmt das autonome Nervensystem die Kontrolle. Es aktiviert uralte Schutzmechanismen: Kampf, Flucht oder Erstarrung.
Wenn dieser Zustand nicht aufgelöst werden kann, bleibt der Körper in einer Art Dauer-Alarmbereitschaft.
Das Nervensystem reagiert dann überempfindlich auf Reize – Betroffene fühlen sich ständig angespannt, erschöpft oder innerlich abgeschnitten.
Langfristig kann diese Dysregulation auch körperliche Folgen haben:
- chronische Entzündungen
- Autoimmunerkrankungen (z. B. Rheuma, Hashimoto)
- Fibromyalgie oder chronische Schmerzen
- Schlafstörungen und Erschöpfungssyndrome
Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass bei traumatisierten Menschen die Aktivität in Bereichen des Gehirns, die für Selbstwahrnehmung und Regulation zuständig sind (z. B. präfrontaler Cortex), verändert ist. Gleichzeitig bleiben Stresszentren wie die Amygdala überaktiv.
Trauma ist also kein psychologisches „Problem“, sondern eine neurobiologische Verletzung.
Heilung auf psychischer Ebene – EMDR und Traumaaufstellung
Die moderne Traumatherapie arbeitet mit Methoden, die das Nervensystem wieder in Balance bringen.
🔹 EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
EMDR wurde von Francine Shapiro entwickelt und ist heute wissenschaftlich anerkannt. Durch bilaterale Stimulation (Augenbewegungen, Klopfreize) wird die Verarbeitung der traumatischen Erinnerung im Gehirn gefördert.
Studien belegen, dass EMDR die Aktivität in der Amygdala reduziert und die Selbstregulationsfähigkeit stärkt.
🔹 Traumaaufstellung
In der systemischen Traumaarbeit werden unbewusste Bindungs- und Überlebensmuster sichtbar gemacht. Das Ziel ist nicht, das Trauma erneut zu durchleben, sondern es aufzulösen. Konkret werden die mit dem traumatischen Ereignis assoziierten Gefühle und Emotionen aufgelöst. Die Auflösung geschieht auf allen Ebenen: Seele, Körper und Geist. .
Der Körper darf wieder erfahren: Ich bin jetzt sicher.
Heilung auf körperlicher Ebene – Traumasensibles Yoga
Viele traumatisierte Menschen haben den Kontakt zu ihrem Körper verloren. Sie spüren sich kaum oder empfinden den Körper sogar als „unsicher“.
Hier setzt Traumasensibles Yoga (TSY) an – eine Methode, die von Therapeut*innen und Yogalehrenden wie David Emerson in Zusammenarbeit mit Bessel van der Kolk entwickelt wurde.
Ziel ist nicht die perfekte Haltung, sondern die Wiederherstellung von Selbstwahrnehmung und Kontrolle.
Im Mittelpunkt stehen:
- achtsame, langsame Bewegungen
- die freie Wahl („Du darfst selbst entscheiden, was sich richtig anfühlt“)
- Atembewusstsein ohne Zwang
- Orientierung an Sicherheit und Erdung
Van der Kolk betont:
„Yoga hilft Menschen, wieder ein Gefühl von Besitz über ihren Körper zu entwickeln. Es bringt sie zurück in die Gegenwart – dahin, wo Heilung geschieht.“
Neurowissenschaftlich lässt sich zeigen, dass regelmäßige achtsame Bewegung (wie Yoga oder somatische Übungen) die Aktivität im Vagusnerv stärkt – einem zentralen Schalter des parasympathischen Systems, der Entspannung und Sicherheit signalisiert.
Ganzheitliche Traumaarbeit – Körper und Seele gemeinsam heilen
Heilung geschieht, wenn Psyche und Körper gemeinsam betrachtet werden.
Psychotherapeutische Verfahren wie EMDR oder Aufstellungsarbeit helfen, das Erlebte zu integrieren.
Körperorientierte Methoden wie traumasensibles Yoga ermöglichen, Sicherheit körperlich zu erfahren.
Beides zusammen öffnet den Weg zu echter Regeneration:
- Das Nervensystem lernt, sich wieder zu regulieren.
- Der Körper darf sich als sicher, lebendig und zugehörig erleben.
- Der Mensch kommt wieder in Kontakt mit sich selbst – auf allen Ebenen.
Fazit
Trauma ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eine Reaktion auf Überforderung.
Doch das, was im Körper gespeichert wurde, kann auch über den Körper wieder geheilt werden.
Wie Bessel van der Kolk schreibt:
„Der Körper ist nicht das Problem – er ist der Weg zur Heilung.“
Quellen
– van der Kolk, B. (2015). The Body Keeps the Score. Penguin Books.
– Shapiro, F. (2018). EMDR – Grundlagen und Praxis. Springer.
– Emerson, D. & Hopper, E. (2011). Overcoming Trauma through Yoga. North Atlantic Books.
– JAMA Psychiatry (2018): Association of Stress Disorders With Autoimmune Disease.
– Porges, S. (2011). The Polyvagal Theory. W. W. Norton.
